Baumallmenden

Was gern übersehen wird und worauf ich deshalb besonders gerne hinweise ist, dass auf den Allmenden, zumindest in unseren Breiten und soweit die dokumentierte Überlieferung zurückreicht, privates Vieh weidet. Es gibt also schon privaten Besitz, der sich zunächst im Rahmen des eigenen Bedarfs hielt. Im Allgemeinbesitz ist nur der Boden, das zentrale Produktionsmittel der Weidewirtschaft.
Eben dieses Zusammenspiel von privat und öffentlich lässt sich auch an einem weniger bekannten Beispiel zeigen: den Baumallmenden. Im Tessin gab es den Brauch, dass auf öffentlichem Allmendegrund Kastanienbäume gepflanzt wurden, die einzelnen Personen und Familien gehörten und teilweise sogar mit Schildern als Privatbesitz gekennzeichnet wurden. (Ein großer Kastanienbaum konnte die jährliche Nahrung für eine Person liefern.) Die Esskastanien standen bis zu einem gewissen Zeitpunkt (oft St. Martin) den Besitzern zu, danach durften die zu Boden gefallenen Früchte frei gesammelt werden. [Entsprechende Besitzaufteilungen sind für Obst- und Nussbäume auch in anderen Teilen der Schweiz im 17. und 18. Jhdt. nachweisbar, z.B. in Zug, Dank an Daniel Schlaeppi, Historiker in Bern).
Zunächst hielt ich das für einen interessanten, aber seltsamen und seltenen Brauch – bis ich auf das gleiche Phänomen in Tunesien stieß. Bis heute gibt es, was vorher wohl verbreitet war, einzelne Oasen, wo auf Allmendegrund Dattelbäume wuchsen, die einzelnen Familien gehörten. Nicht weit von Tozeur in der Wüstengegend des Schott el Djerid finden sich die vielbesuchten Bergoasen Chebika, Tamerza und Mides. Nur in Chebika scheint es noch die alte Form der Bewirtschaftung zu geben, bei der der Boden Gemeineigentum ist. (Baedeker Tunesien, Artikel in der Berliner Zeitung vom 24.12. 2004)
Und im Süden Marokkos stehen die dort endemisch, d.h. nur in diesem Gebiet vorkommenden Arganbäume auch teilweise noch auf Allmenden, d.h. die Bäume gehören auch hier Familien, der Boden aber der Allgemeinheit. Verständlich ist dies auf dem Hintergrund des unter Berbern und Arabern einst weit verbreiteten Gemeineigentums. In diesem Fall ist der Zusammenhang von Herdenhaltung und Baumbestand ein besonders inniger: Die Ziegen fressen die Arganfrüchte und scheiden die unverdauten Nüsse aus, die von den Frauen gereinigt, geknackt und mühselig zu Öl verarbeitet werden. (Das obige Bild zeigt, wenn man genau hinschaut, Ziegen in einem Arganbaum)
Den Verdacht, hier könne es sich um ein früher allgemein übliches System gehandelt haben, wird bestätigt durch eine Arbeit, die 1941 an der Akademie Palermo veröffentlicht wurde: Camillo Giardina. “La cosi detta proprieta degli alberi separata da quella del suolo in Italia” (Das so genannte Eigentumsrecht an Bäumen geschieden von dem am Boden in Italien). Dieser Arbeit zufolge war diese Rechtsform in den Mittelmeerländern einst für die Olivenbäume allgemein üblich.
Es lässt sich vermuten, dass diese Form des Eigentums in Gegenden entstanden ist, die weitgehend durch das Hirtenwesen geprägt waren. Dort ist eine Trennung der Grundstücke eigentlich unzweckmäßig. Wenn nun Ernährung auf der Basis der Weidewirtschaft durch die Anpflanzung von “Brotbäumen” ergänzt wurde, so lag es nahe, die Besitzverhältnisse so zu regeln, dass die Gewähr des persönlichen Zugangs zu diesen Bäumen mit den Erfordernissen der Weide in Einklang zu bringen war.
In die Richtung eines gespaltenen Nutzungsrechts weist auch ein Einzelbefund aus dem Rheinland. Im Kalkarer Wald war die Holznutzung der Landesherrschaft vorbehalten, die Bewohner hatten aber Weiderechte, die auch zahlenmäßig genau bestimmt waren. (Wilfried Krings, Wertung und Umwertung von Allmenden im Rhein-Maas-Gebiet vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 19. Jhdts., Assen 1976, S.11)

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