Im Anschluss an das Weltsozialforum in Tunis führte uns der Weg in die Wüstengegend des Schott el Djerid mit den großen Dattelpalmoasen von Tozeur und Nefta. Nicht weit davon finden sich die vielbesuchten Bergoasen Chebika, Tamerza und Mides.
Nur in Chebika scheint es noch die alte Form der Bewirtschaftung zu geben, bei der der Boden Gemeineigentum ist. Die Bäume, in der Regel sind es nur jeweils 10-20, gehören den Familien, strukturell völlig analog unseren Allmenden, wo auf dem gemeinen Boden das private Vieh geweidet wird (oder meist: wurde). Ursprünglich hatten auch die in den Bergoasen ansässigen Berber große Bestände an Weidevieh, aber wegen der schwieriger werdenden Umstände mussten sie aufgegeben werden. (Erwähnung im Baedeker Tunesien und einem Artikel in der Berliner Zeitung vom 24.12.2004)
Weniger bekannt dürfte sein, dass es auch in unseren Breiten Baumallmenden gab und in Resten noch gibt. Für das Tessin ist bezeugt, dass dort Kastanienwälder auf Allmendeboden stehen mit den einzelnen Bäumen im Besitz von Familien oder Personen. Teilweise werden sie durch Schilder markiert. Die Früchte gehören bis zu einem gewissen Tag (häufig St. Martin) dem Besitzer. Danach dürfen sie allgemein aufgelesen werden. Dieses jus plantandi soll es im Mittelmeerraum auch für Oliven gegeben haben. Ein Grund für diese Rechtsform ist wohl, dass das Weiderecht mit dem ernährungswichtigen Baumanbau verträglich gemacht werden sollte.
Regeln und Bewässerung
Spätestens nach Elinor Ostrom fragen wir immer nach den Regeln, die für bestimmte Allmenden gelten. Für das Gebiet des Djerid gibt es eine klare historische Auskunft: Bereits im 13. Jhdt wurden sie von Ibn Chabbat entwickelt, der heute als Heiliger verehrt wird. Sein Grabmal findet sich in der Palmenoase von Tozeur. In diesen trockenen Geboten ist natürlich die Bewässerung von höchster Bedeutung. Zentraler Teil der Regeln und Hauptleistung war ein System der zeitlichen Wasserzuteilung für die einzelnen Bereiche, das ohne Uhr funktionierte. Die Wasserzuteilung erfolgt ohne Bezahlung, das Wasser ist also Gemeingut. Das gilt heute noch für alle drei Bergoasen, auch für die, wo der Boden schon privatisiert ist.
Drei-Etagen-Wirtschaft
Freunde der Permakultur werden mit Interesse zur Kenntnis nehmen, dass im Djerid ursprünglich eine Drei-Etagen-Landwirtschaft üblich ware. Unterhalb der Dattelpalmen wachsen halbhohe Bäume: Aprikosen, Orangen, Feigen, Granatäpfel. darunter werden Gemüse angebaut: Tomaten, Fenchel, Möhren etc. Allerdings soll teilweise neben der Intensivierung des Anbaus auch getrennte Besitzverhältnisse eine Rolle gespielt haben. Die Dattelbäume für den Eigentümer, die unteren Etagen für den Pächter. Möglicherweise gilt das aber auch nur für eine späte Phase dieser Wirtschaftsform.
Aktuelle Entwicklung
Die guten Nachrichten sind damit zu Ende. An der gegenwärtigen Situation und Entwicklung lässt sich kaum Gutes finden. Die Mehretagenlandwirtschaft
wird weitgehend aufgegeben. Sie braucht natürlich mehr Wasser und ist arbeitsaufwendig. Von den drei Bergoasen scheint es sie nur noch in Midas zu geben. Ein in Tamerza ansässiger Berber gab als Erklärung an, dass mit den Männern dort nichts mehr los sei, während sie in Mides noch fleißig seien. Als Erklärung vielleicht nicht ganz ausreichend.
Besitzverhältnisse
Doch der Reihe nach: Schon seit langer Zeit haben sich die Besitzverhältnisse geändert, insbesondere in den großen Oasen. Die Oase von Tozeur mit ca. 1000 ha und 400000 Dattelpalmen gehört zum größten Teil weniger als 2% der Bevölkerung. Sie lassen das Land von Pächtern bewirtschaften, die etwa ein Fünftel des Erlöses (10-30%) bekommen. Kleinbauern, die ihr Land selbst bewirtschaften, besitzen in der Regel nur 50 oder weniger Bäume. in der Armut nach dem Wegfall der Karawanenwirtschaft kauften die reicheren Bauern den ärmeren zunächst die Wasserrechte ab, ließen deren Felder verdorren, kamen dann billig ans Land und die ehemaligen Besitzer mussten sich als Pächter verdingen. Auch hier ging die vorhergehende Abschaffung der Allmenden (ich überblicke nicht, welche Rolle der Kolonialismus dabei spielte [3.5.13 mittlerweile weiß ich es: eine verheerende]) mit einer Enclosure einher. Die Einzäunungen reichen von einfachen Palmblättergattern zu mächtigen Mauern mit prächtigen Toren.
Tourismus
Mittlerweile ist der Tourismus zur größten Einnahmequelle und zur größten Gefahr geworden. In Tunesien benötigt ein Einwohner durchschnittlich 120 Liter Wasser pro Tag, in den Wüsten nur 10-15. Ein Hotelgast verbraucht insgesamt 300 – 400 Liter. Nirgends gibt es in den Hotels eine Aufforderung zum Wassersparen. Zu allem Überfluss wurde bei Tozeur im Wüstengebiet ein bekanntlich wasserdurstiger Golfplatz angelegt. Beschwichtigend wird darauf verwiesen, dass er aus der Kläranlage bewässert wird. Aber man könnte damit natürlich auch die Palmkulturen bewässern.
Zum anderen zieht die lukrative, aber auch extrem schwankungsanfällige Beschäftigung im Tourismusbereich die Leute von der landwirtschaftlichen Tätigkeit ab. Die wird natürlich auch wegen des zunehmenden Wassermangels unattraktiv bis aussichtslos, der den erwähnten Mehrvervrauch und klimtische Veränderungen als Ursache hat. Hinzu kommt, dass das jahrhundertealte Bewässerungssystem, das aus einem komplizierten System von offenen und gedeckten Kanälchen besteht, einschließlich der Verteilungsregeln von Ibn Chabbat, jetzt durch ein Betonröhrensystem ersetzt wird. Die Kosten wurden zum Anlass genommen, um das bisherige Gemeingut zu einer bezahlten Ware zu machen.