Zweckrationalität als ökonomisches Grundprinzip
Wie die Erziehungswissenschaft ist auch die Ökonomie durch die – quasi analytische – Bezogenheit auf ein Anwendungsfeld gekennzeichnet. Angesichts der Verschiedenheit dieser Gebiete sind Übereinstimmungen und Beeinflussungen um so bemerkenswerter. Dies gilt natürlich auch schon für die Tatsache, das Zweck-Mittel- Schema auch in den ökonomischen Disziplinen als ein zentrales Prinzip anzutreffen. Daß dies der Fall ist, läßt sich vielfältig belegen. So schreibt der schwedische Volkswirtschaftler Myrdal
„In welchem Grade und auf welche Weise läßt sich da eine solche, vollständig relativisierte, aber doch systematische praktische Nationalökonomie ((…)) auf den Kategorien Zweck und Mittel als Systematisierungsprinzipien aufbauen? Das ist das zentrale wissenschaftstheoretische Problem der praktischen Nationalökonomie. Dieses Problem wird um so ernster, da sich schwerlich ein anderes Systematisierungsprinzip für die praktische Nationalökonomie ausfindig machen läßt.“ 1
Und Heinen beginnt seine betriebswirtschaftliche Arbeit mit dem Satz: „Die Frage nach den Zielen unternehmerischer Betätigung zählt zu den bedeutsamsten und interessantesten Problemstellungen der Betriebswirtschaftslehre.“ 2 Noch spezifischer wird er an späterer Stelle (S.49), wo er auf das bereits in klassischer mikroökonomischer Theorie grundlegende Rationalprinzip Bezug nimmt – andernorts auch ökonomisches Rationalprinzip oder auch einfach ökonomisches Prinzip genannt. Dieses besagt, daß ein Zweck mit dem geringsten Mitteleinsatz zu erreichen, beziehungsweise daß bei gegebenem Mitteleinsatz eine maximale Erfüllung des Zwecks anzustreben sei, und trägt mithin seine zweckrationale Ausrichtung sozusagen offen auf der Stirn.
Gäfgen formuliert das gleiche Prinzip, indem er zwei Versionen unterscheidet. Die erste fordert auf „Verwende gegebene Mittel so, daß du damit den höchsten Ertrag erzielst“, die zweite „Erreiche einen gegebenen Zweck mit dem geringsten Aufwand“. 3 Allerdings firmiert es hier unter dem Namen „ökonomisches Prinzip“. Für die Identifizierung ist das unerheblich. In der Literatur sind beide Bezeichnungen gebräuchlich. Gleichwohl ist der Benennungsunterschied bemerkenswert, denn er markiert einen Anspruchsunterschied:“ökonomisch“bezieht
sich auf das Feld der Anwendung und der zuständigen Wissenschaft gleichermaßen, „rational“ reicht als Begriff darüber hinaus und umgreift das gesamte Gebiet menschlichen Handelns und Wissens. So kann es zum einen als differentia specifica eine innerökonomische Eingrenzung bedeuten, zum andern aber auch den über die Grenzen der Ökonomie hinausgehenden Anspruch einer Theorie der Handlungswahl und Handlungsrationalität. Eben diese Ambiguität trifft man auch an, wenn man Titel und Untertitel von Gäfgens Untersuchung betrachtet und vergleicht: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung. Untersuchungen zur Logik und Bedeutung des rationalen Handelns.
Modellbildende Wirkung der Ökonomie
Der Anspruch einer ökonomischen Theorie der Handlung, über die Grenzen der Ökonomie hinauszureichen, ist nicht völlig unberechtigt. Die volkswirtschaftliche Begriffsbildung war immer in einem häufig unterschätzten Maß modellbildend für viele Bereiche besonders der Geistes- und Sozialwissenschaften. Mehr noch als der Zweckbegriff scheint mir der des Wertes auch in seiner außerökonomischen Verwendung Beispiel einer durch wirtschaftliches Handeln geprägten Metaphorik zu sein. 4 Auch der Begriff der Handlung verweist auf wirtschaftliche Zusammenhänge.
Der Zweckbegriff selbst kann in seinem Ursprung natürlich nicht von den ökonomischen Disziplinen beansprucht werden. Aber im Zusammenhang wirtschaftswissenschaftlicher Überlegungen hat er Ausprägungen erfahren, die sich über die Grenzen dieser Wissenschaft durchgesetzt haben. So hatten wir im Rahmen der Erziehungswissenschaft bereits bei König Rückgriffe auf betriebswirtschaftliche Ausdifferenzierungen angetroffen, namentlich die Bezugnahme auf unbegrenzte Zielsetzungen und auf Entscheidungen unter Unsicherheit, Bestimmungsstücke, die sich beispielsweise in den Arbeiten zur praktischen Philosophie, auf die er sich gleichfalls stützt, nicht finden. Auch Laucken verwendet, ohne daß dies so deutlich ausgesprochen wird, Elemente, die letztlich der Ökonomie entstammen, wenn er die Wahl der Ziele durch das Effektgewicht und dies als eine Funktion (Produkt) aus Effektwahrscheinlichkeit und Effektvalenz (dem subjektiv zugemessenen Wert) des Ziels bestimmt .
Beide Bezugnahmen sind keine Einzelfälle. Ohne die Richtung der Abhängigkeit hier im einzelnen darlegen zu können, läßt sich doch mit Sicherheit sagen, daß sich ökonomische und psychologische, und – zum Beispiel vermittelt über die Lernpsychologie – auch pädagogische Modelle der Handlungswahl zumindest schon seit Ende des 19.Jahrhunderts stark beeinflußten. Gäfgen, der zu Beginn seines Buches auf die interdisziplinären Zusammenhänge der Entscheidungstheorie ziemlich ausführlich eingeht, hebt die Verbindungen zur Psychologie hervor, weil diese in ähnlicher Weise auf Entscheidungsprozesse des Individuums als Grundlage ihrer Theorien angewiesen sei und sie mit ähnlichen Formalismen wie die Ökonomie bearbeite.
Heinen: Das Zielsystem der Unternehmung
Betrachtet man die formale Vorgehensweise der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie genauer, so stellt man fest, daß ihre Einstellung zum Zweck-Mittel-Schema zumindest zwiespältig ist. Zwar macht sie ausgiebig von ihm Gebrauch, zum Beispiel bei der Formulierung des Rationalprinzips oder wenn Heinen die wirtschaftlichen Entscheidungen einteilt in Zielentscheidungen und an diesen ausgerichteten Mittelentscheidüngen. (Heinen S.18f.) Aber im folgenden unterscheidet er zwei Möglichkeiten der Betrachtung des Zielbegriffs, nämlich einmal im Rahmen des Zweck-Mittel-Schemas, zum andern als Bewertung von Alternativen (S.45); und es gibt keinen Zweifel, daß er die zweite Möglichkeit für die bessere hält. Als Probleme bei der Anwendung des Zweck-Mittel-Schemas gibt er an, daß mit Mitteln sowohl Handlungen zur Zielerreichung als auch dazu eingesetzte Güter gemeint sein können – oder Güter, die Mittel zur Durchführung von als Zwecken betrachteten Handlungen darstellen. Zum andern ist die Beziehung zwischen Zielen und Zwecken nicht eindeutig, weil Ziele nicht nur Zwecken entsprechen können, sondern auch ganzen Mittel-Zweck-Relationen. So stellt die Rentabilität ein Unternehmensziel dar, obwohl sie selbst als Quotient aus Zielerreichung und Mitteleinsatz zu interpretieren ist.
Die zweite Möglichkeit, die Bewertung von Alternativen, legt – in Heinens Darstellung – bei der Formulierung von Zielen eine imperativische Logik zugrunde. Lassen sich die Ziele quantifizieren, so können mathematische Entscheidungsmodelle auf sie angewendet werden. Der in Frage stehenden Größe (zum Beispiel:Gewinn) wird eine Zielvariable zugeordnet, die einen gewissen Bereich von Werten annehmen kann. Das angestrebte Ziel wird durch eine Zielfunktion ausgedrückt. Diese gibt entweder einen festen Wert vor, der durch die Werte der Zielvariable erreicht, über- oder unterschritten werden soll oder sie verlangt die Maximierung (oder Minimierung) der Zielvariablen. Im ersten Fall handelt es sich um begrenzte, im zweiten Fall um unbegrenzte Zielsetzungen. Werden mehrere Zielsetzungen gleichzeitig verfolgt – und das ist in der Praxis der Normalfall – so ergibt sich bei unbegrenzten Zielsetzungen in der Regel keine eindeutige Lösung mehr. Die Maximierung der einen Variablen verhindert die Maximierung der anderen. Dann ist die Einführung eines Gewichtungsfaktors notwendig, der die Vorrangigkeit der Maximierung eines Ziels zum Ausdruck bringen soll. Ferner sind nicht realisierbare und unerwünschte Zustände auszuschließen. Dabei wirken die ersten als restringierende Normen für die Zielformulierung, werden die zweiten selbst als (negative) begrenzte Ziele formuliert werden können, denn anders als im normalen Sprachgebrauch werden in der Entscheidungstheorie nicht nur erwünschte, sondern auch zu vermeidende Zustände als Ziele bezeichnet.
Bei all dem wurde bisher vorausgesetzt, daß eindeutige Informationen über Situation und zu erwartende Wirkungen vorhanden sind, daß mit anderen Worten bei Sicherheit entschieden wird. Erfolgt die Entscheidung unter Ungewißheit, so gibt es in einigen Fällen die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. Bei der Entscheidung unter Unsicherheit steht auch keine hinreichende Kenntnis über Wahrscheinlichkeiten zur Verfügung. In diesem Fall versucht man durch Hinzunahme von Ergänzungsregeln die mehrdeutige Entscheidungssituation in eine eindeutige zu verwandeln.
Gäfgen: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung
Auch Gäfgen, auf den sich Heinen in diesem Zusammenhang beruft, bevorzugt das „Prinzip der Bewertung von Alternativen“. Allerdings sind seine Kritikpunkte am zweckrationalen „ökonomischen Prinzip“ nicht die gleichen wie bei Heinen. Gäfgen sieht Schwierigkeiten in der Komplexität des technologischen Zusammenhangs, in der Notwendigkeit, daß der „Zweck die Mittel heiligt“, das heißt, daß die Mittel rein instrumental sein müssen und keinen Eigenwert besitzen dürfen, und umgekehrt die Zwecke reine Zwecke sein müssen, Endzwecke also, die keinen instrumentalen Wert haben, weil sich sonst Widersprüche ergeben können. Ferner muß auf Vollständigkeit des Systems geachtet werden auch hinsichtlich später zu verfolgender Zwecke, die durch die Folgen der jetzigen Entscheidung tangiert werden. All dies macht nach seiner Einschätzung dieses Modell derart anfällig für kleinste Denkfehler, daß das Prinzip der Bewertung von Alternativen vorzuziehen ist. Sicher ist es darüber hinaus auch die leichtere Handhabung mithilfe mathematischer Verfahren, die zur Bevorzugung dieses Entscheidungsmodells beiträgt.
Status der formalistischen Zweckkritik
Hier ist (noch) nicht der Ort, um zu fragen, ob das Prinzip der Bewertung von Alternativen vielleicht neben seinen aufgezeigten Vorzügen nicht auch Schwierigkeiten aufweist. Wichtig für die Rolle des Zweckbegriffs in den Wissenschaften ist in diesem Zusammenhang zunächst, daß auch in der Ökonomie das Zweck-Mittel-Schema trotz oder wegen seiner konstitutiven Bedeutung für diese Disziplin – Probleme aufwirft und der Kritik unterzogen wird, letzteres allerdings aus ganz anderen Gründen und aus ganz anderer Richtung als das bei der Erziehungswissenschaft der Fall war. Stellte sie sich dort als Kritik an Technologie und Instrumentalitat dar, so scheint hier eher das Gegenteil der Fall zu sein. Es ist ein Mangel an formaler Handhabbarkeit, der dem Zweck-Mittel-Schema zum Vorwurf gemacht wird, „formaler“ Handhabbarkeit wohlgemerkt, also nur im metaphorischen und nicht im strengen Wortsinn technischer Handhabbarkeit.
Deswegen wäre es voreilig, die hier im betriebswirtschaftlichen Zuammenhang entwickelte Entscheidungstheorie umstandslos den bereits bei der Psychologie angesprochenen kausalistisehen Strömungen zuzurechnen. Dagegen spricht, daß sie von als bewußt und rational betrachteten Handlungsentscheidungen ausgeht und sich im wesentlichen als Nachvollzug derartiger Entscheidungen versteht. Diese Einstellung erklärt sich auch aus der Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, die deskriptive und normative Erwartungen mit einschließt. Mit ihrem beratenden Status vertrüge es sich schlecht, würde sie den wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nur in Einzelfällen, sondern grundsätzlich Rationalität absprechen. Auch das explizite Anknüpfen an philosophische Traditionen, zum Beispiel die analytische Ethik, spricht für normativ – intentionalistische Positionen.
Andererseits läßt sich nicht bestreiten, daß der Formalismus der Entscheidungstheorie, besonders durch seine Quantifizierung, auch geeignet ist, als Formulierung kausaler oder quasi-kausaler Gesetze betrachtet zu werden. Mit wachsender Komplexität der Entscheidungsstruktur wird es auch sehr schnell unwahrscheinlich, wollte man die Modelle der Entscheidungstheorie als die Wiedergabe der tatsächlichen Entscheidungsprozesse des Handelnden betrachten. In der Tat geht auch die Mehrzahl der Entscheidungstheoretiker nicht davon aus, daß die von ihnen benutzten Modelle beim Entscheidungsträger psychisch repräsentiert sind. 5 Damit werden diese Modelle indifferent gegenüber der Einordnung in intentionalistische oder kausalistische Konzeptionen. Zwar stützen sie sich bei der Darlegung ihrer Grundstruktur auf die Plausibilität rationaler Entscheidungen, in ihrer entwickelten Form verselbständigen sie sich aber diesen gegenüber und ermöglichen eine Betrachtung, die keine Bestätigung in der Übereinstimmung mit dem Bewußtsein des Aktors mehr sucht. Mit den Worten Paretos: „L’individu peut disparaitre.“
Allerdings wird diese Verselbständigung nicht notwendig auf externe, zum Beispiel institutioneile, Faktoren zurückgeführt und sie verbindet sich auch nicht unbedingt mit festen Vorstellungen über den Charakter der repräsentierten Zusammenhänge. Gäfgen kann deshalb mit gewissem Recht sagen, daß der Ausgang von den Handlungsprinzipien des (wirtschaftenden) Menschen unabhängig davon sei, ob man einer mathematisch-funktionalistischen oder einer verstehenden Richtung anhängt. 6 Für eine grundsätzliche Erörterung wird es jedenfalls nötig sein, neben intentionalistischen und kausalistischen Positionen den formalistischen Ansatz als einen eigenen zu behandeln. Die Zuordnung der Entscheidungstheorie zu diesem Ansatz zeigt sich auch in der Liste der Wissenschaften, auf die sie bevorzugt zurückgreift. Mit Mathematik, Philosophie (in ihren formalen Teilen), Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie, mathematischer Spieltheorie werden in erster Linie formale Disziplinen genannt und die Übereinstimmungen mit Psychologie und Soziologie beziehen sich vor allem auf formale Aspekte. Die enge Verbindung der Naturwissenschaften mit der Mathematik, die sich in dem gebräuchlichen Attribut mathematisch-naturwissenschaftlich ausdrückt, legt es nahe, formalistische Positionen in der Nähe kausalistischer zu sehen. Aber auch Grammatik, die Sprache als das zentrale Medium der Verständigung zum Thema hat, ist eine formale Disziplin.
Myrdal: Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalökonomie
Laucken hatte Zweck-Mittel-Modell und die Bestimmung der Ziele durch eine Wert x Erwartung-Matrix – die ja nur eine Form der Bewertung von Alternativen darstellt – in einem Modell verbunden, ohne die Verschiedenheit der beiden Teile irgendwie zu thematisieren. Eine Notwendigkeit der Entscheidung zwischen formal verschiedenen Interpretationen oder Darstellungen einer Handlungsentscheidung ist nicht gegeben, da nur ein Schema der alltäglichen Handlungsentscheidung in Anwendung kommt. Demgegenüber ist die ökonomische Kritik auch Ausdruck des Bewußtseins, daß das Zweck-Mittel-Schema nur ein Modell der Handlungswahl verkörpert und daß daneben andere denkbar sind. Zwar bewegt sie sich innerhalb der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie ausschließlich auf formal-methodologischer Ebene, sie greift aber auf Ansätze zurück, die darüber hinausgehen. Unter den innerökonomischen Ansätzen zur Zweckkritik, auf die auch die Entscheidungstheorie Bezug nimmt, ist der klassische Aufsatz Myrdals „Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalökonomie“ hervorzuheben. 7 Er stellt eine frühe und grundsätzliche Kritik des Zweck-Mittel-Schemas dar. In einigen Punkten kann er durchaus als Vorläufer der bereits referierten Kritik gelten, beispielsweise wenn er sehr deutlich die Problematik der Beschränkung des Wertaspekts auf die Zwecke anspricht:
„Nun ist es jedoch offenbar, daß nicht nur „Zwecke“ Gegenstand von Wertsetzungen sind, sondern auch „Mittel“. Die Mittel sind nicht wertmäßig indifferent. Die Wertsetzung bezieht sich jeweils auf einen ganzen Verlauf und nicht nur auf sein antizipiertes Schlußresultat. … Diese Einsicht ist zu simpel, um nicht immer im Hintergründe geahnt worden zu sein, aber wir verstehen jetzt, warum sie niemals richtig ausgesprochen worden ist, sondern immer nur zu prinzipiellen Unklarheiten und Widersprüchen geführt hat. Denn gibt man das zu, so bricht das ganze Schema auseinander oder verliert jedenfalls bedeutend an Einfachheit. Und seine Einfachheit war ja das Hauptargument für seine Zweckdienlichkeit.“
Myrdals Kritik weicht jedoch in Zielsetzung und Ausgangspunkt deutlich von der entscheidungstheoretischen ab. Zum einen zielt sie nicht darauf ab, das Zweck- Mittel- Schema durch irgendein anderes Schema zu ersetzen. Es geht ihr überhaupt nicht um die Abschaffung des Zweck-Mittel-Prinzips, sondern um die Bewußtmachung der Voraussetzungen, die mit seiner Anwendung verbunden sind und darüber hinaus generell um die Aufklärung der methodologischen Voraussetzungen ökonomischer Theorien. Zum andern gründet sie sich nicht auf eine Problematisierung der Handhabbarkeit, sondern auf eine historische, politische und moralische Reflexion der Aufgaben der Wirtschaftswissenschaft. Myrdal sieht den historischen Ursprung des Zweck-Mittel-Denkens in der Ökonomie im Anschluß an die Überwindung naturrechtlichen Denkens zugunsten einer Theorie wirtschaftlicher Planung, zu einer Zeit also, die einesteils streng zwischen empirischen und normativen Aspekten zu unterscheiden begann, zugleich aber die Objektivität von Werten noch nicht wirklich bezweifelte, sondern ihre Erkenntnis lediglich einer eigenen Sphäre zuweisen wollte. Dieser Stand des Denkens hat sich im Zweck-Mittel-Denken bewahrt, soweit es den Wertaspekt lediglich den Zwecken zuweisen will. Neben dieser in wissenssoziologischer Tradition stehenden historischen Situierung spricht er – unter den bisher referierten Ansätzen als einziger – ein moralisches Problem des Zweck-Mittel-Schemas an. Es ist das darin und insbesondere in der ethischen Neutralisierung der Mittel zum Ausdruck kommende Prinzip, daß ein Verhalten allein an sich keiner moralischen Bewertung fähig ist, sondern allein nach seinem erwarteten Resultat beurteilt werden soll. Myrdals Lösung liegt, wie bereits angesprochen, nicht in der Abschaffung des Zweckprinzips, sondern im Bemühen um seine allseitige Problematisierung, verbunden mit der Kritik pseudo-objektivistischer Theorien. Myrdal bewahrt trotz seiner grundsätzlichen Kritik am Zweck-Mittel-Schema das Interesse an einer, im alltäglichen und im Kantschen Sinn, praktischen Fundierung der ökonomischen Theorie.
Hat dies wohl eher als persönliche Leistung Myrdals zu gelten, so kann man als allgemeine Lehre aus der Konsultation der ökonomischen Wissenschaften mitnehmen, daß wir es beim Zweck-Mittel-Schema mit einem Modell zu tun haben, zu dem sich sowohl von einem formalen wie von einem historischen Standpunkt aus Alternativen vorstellen lassen. Die Ökonomie lehrt dies im doppelten Sinn: einmal indem sie diesen Modellcharakter selbst thematisiert, zum andern weil sie selbst ein Beispiel für die Verbreitung von Paradigmen über die Grenzen ihres ursprünglichen Bereichs hinaus abgibt. Dies gilt speziell auch für das entscheidungstheoretische Modell, das sich zwar nicht ausschließlich innerhalb der Ökonomie, aber doch in engem Zusammenhang mit ökonomischen Problemen entwickelt hat und gleichwohl in einer Reihe anderer Bereiche Anwendung findet, wie ihr Auftauchen in psychologischen und pädagogischen Zusammenhängen belegt. Gäfgen unterscheidet deshalb zwischen einer allgemeinen Entscheidungslehre („reine Ökonomik“), die es mit „Logik und Bedeutung des rationalen Handelns“ zu tun hat und deren Anwendung auf die Sphäre der Tauschbeziehungen, der wirtschaftlich angewandten Ökonomik oder „Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung“. 8 Formal stellt die wirtschaftliche Ökonomik demnach einen Spezial- oder Anwendungsfall der reinen Ökonomik dar, aber das widerspricht nicht der Möglichkeit, daß in ideen- und wissenschaftshistorischer Sicht umgekehrt das speziellere ökonomische Modell Vorbildcharakter für das allgemeinere Entscheidungsmodell haben kann.
- Gunnar Myrdal, Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalökonomie, 5.216, in: ders., Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, Bonn 19752, S.213-233 ↩︎
- Edmund Heinen, Das Zielsystem der Unternehmung. Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, Wiesbaden 1966 ↩︎
- Gerard Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung. Untersuchungen zur Logik und Bedeutung des rationalen Handelns, Tübingen (Mohr) 19743, S.102 ↩︎
- Der mögliche Einfluß ökonomischer Modelle auf Nietzsche wird angesprochen in Böhringer 1982. Allgemein zum Wertbegriff im 19. Jhdt. vgl. ferner Schnädelbach 1983 S.198-234, Kippenhan 1980 ↩︎
- Gäfgen schreibt (a.a.O. S.41) „Kein Ökonom wird ja glauben, daß ein Unternehmer den Verlauf seiner Grenzkosten- und Grenzerlöskurve kennt. Die Wirtschaftstheorie nimmt nur an, daß er sich – mittels irgendwelcher Faustregeln – in etwa so verhält, als ermittle er sein Gewinnmaximum mit Hilfe solcher Kurven.“ ↩︎
- Gäfgen 1963, S.19. Freilich haben nicht alle Anhänger der Entscheidungstheorie so vergleichsweise liberale Ansichten. So verknüpfen sich beispielsweise bei Ackoff 1975 entscheidungs- und systemtheoretische Ansätze mit einem letztlich kausalistischen Programm. ↩︎
- Außer auf Myrdal, Das Zweck-Mittel-Denken … bezieht sich Gäfgen auf die zweckkritischen Positionen von H.A. Simon, Administrative Behavior, New York 1957 (2.Aufl.) und P. Streeten, Programs and Prognoses,Quarterly Journal of Economics, Vol. LXVIII (1954), S.355ff. Streeten vertritt vergleichbare Positionen wie Myrdal. Er hat auch Myrdals Aufsatzsammlung „Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft“ eingeleitet und herausgegeben. ↩︎
- Man wird sich erinnern, daß die Formulierung der beiden Gebiete Titel und Untertitel von Gäfgens Arbeit entspricht. ↩︎
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